Nostalgiker hoffen auf eine Zukunft

Tauende erfolgsentwöhnter Fans hoffen, dass sich Eintracht Braunschweig mit dem neuen Trainer Uwe Reinders, der nach vierjährigem Ruhestand nun wieder einen Job gefunden hat, doch noch in der zweiten Bundesliga etablieren kann

Trotz langer Agonie der beliebteste Verein zwischen Magdeburg und Hannover

aus Braunschweig CHRISTOPH RUF

„Vier Jahre sind ein lange Zeit, aber ich bin nicht raus aus dem Geschäft. Das Feuer lodert noch“, sagt einer, der so gut wie raus war aus dem Geschäft, doch nun plötzlich wieder drin ist. Seit er bei Sachsen Leipzig beurlaubt wurde, hatte Uwe Reinders keinen Verein mehr trainiert, jetzt wurde der 47-Jährige überraschend als neuer Trainer des Zweitligatabellenletzten Eintracht Braunschweig auserkoren. „Wir haben uns für den Kandidaten entschieden, der sich auf Anhieb bei den Spielern durchsetzen kann“, begründete Eintracht-Präsident Gerhard Glogowski die Entscheidung. Am Montag wird Reinders in der Partie beim MSV Duisburg erstmals die Geschicke der Mannschaft lenken.

Am letzten Sonntag hatte Glogowski noch getan, was er als Berufspolitiker über Jahrzehnte gelernt hatte: Er formulierte Sätze, die so klangen, wie sich Styropor anfühlt. „Es gibt nach unserer Überzeugung keine andere Möglichkeit, dies wird nun mal auf dem Rasen entschieden. So ist das Leben.“ Damit war die Trennung von Peter Vollmann verkündet, einem Trainer, den der ehemalige niedersächsische SPD-Ministerpräsident noch im Sommer in den höchsten Tönen gelobt hatte, der aber gerade mit einem 1:2 gegen den KSC die siebte Niederlage im neunten Spiel eingefahren hatte.

In Braunschweig hielt sich die Betroffenheit in Grenzen. Die Hoffnung, der vom Präsidium erwartete „Wendepunkt“ möge mit einem neuen Trainer tatsächlich eintreten, überwog: „Vielleicht war die Erwartungshaltung bei den Fans auch so hoch, weil wir gleich beim ersten Saisonspiel so überragend gespielt haben“, versucht der Fanbeauftragte Rüdiger Denecke die Ansprüche zu erläutern. Trotz der danach dürftigen Bilanz – ein Punkt aus acht Spielen – ist auch der 49-jährige Streifenpolizist von der Leistungsfähigkeit des Teams überzeugt: „Glauben Sie doch nicht, dass all die gestandenen Profis mal eben das Fußballspielen verlernt hätten“. Er glaubt, dass so mancher Spieler „gegen den Trainer gespielt“ habe.

Peter Vollmann hatte bereits in der Saisonvorbereitung vor überzogenen Hoffnungen des Umfeldes gewarnt: „Ich befürchte, dass wir an unserer eigenen Erwartungshaltung ersticken. Hier reden einige schon von einem Mittelfeldplatz als Minimalziel.“ Das Schicksal von Vereinen wie Schweinfurt oder Babelsberg habe gezeigt, dass die zweite Liga für Aufsteiger oft eine Nummer zu groß sei. Laut einer Umfrage glaubten jedoch zu Saisonbeginn 48,9 Prozent aller Fußballfans an den Klassenerhalt des derzeitigen Tabellenletzten. Vor Wunschdenken waren auch Prominente wie Paul Breitner nicht gefeit. Gebannt von der Erinnerung an Sponsor Günther Mast („Jägermeister“), der den damals Vollbärtigen von Madrid ins geringfügig weniger mondäne Braunschweig gelotst hatte, verkündete der Haus- und Hofbajuware von Sat.1, wohin es mit dem Verein zu gehen habe: „Es wurde Zeit, dass die Eintracht wieder dorthin zurückkehrt, wo sie längst hätte spielen müssen, wobei ich die zweite Liga nur als Zwischenstation auf dem Weg zurück in die erste sehe.“

Doch viele Neuverpflichtungen erwiesen sich eher als abgetakelte Altstars denn als „routinierte Profis“, wie von Vollmann erhofft. Namen wie Jürgen Rische, Janusz Dziwior, Michel Dinzey und Markus Osthoff haben in der ersten Liga einen gewissen Klang. Dass deren Stern allerdings auch schon mal heller leuchtete, lässt sich heute nicht mehr bestreiten. Besonders die Abwehr, die in der Regionalliga noch eine feste Bank war, fabrizierte immer wieder katastrophale Schnitzer. Selbst Philipp Laux, der zu Ulmer Zeiten als einer der besten deutschen Keeper galt, zeigte anfängerhafte Schwächen.

Rüdiger Denecke, der nach dem Schichtdienst ehrenamtlich als Fanbetreuer arbeitet, kennt die Eintracht und ihre Fans wie die Westentasche seiner Dienstuniform. Wie viele Anhänger von Traditionsvereinen, erzählt er am liebsten Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Zum Beispiel die von Erfolgscoach Branco Zebec, der von seinen Spielern noch heute verehrt werde. Der habe das Team Ende der Siebziger noch jeden Montag in die Kneipe „Zum gemütlichen Conni“ eingeladen.

Mancher, der heute in der Kurve steht, war noch nicht geboren, als Zebecs Leber die dort gereichten Getränke endgültig zum Verhängnis wurden. Und dennoch strahlt die Vergangenheit der Eintracht mehr Anziehungskraft aus als die vergleichsweise glänzende Gegenwart der unmittelbaren Konkurrenz. Dass die Eintracht trotz jahrelanger Agonie der beliebteste Verein zwischen Magdeburg und Hannover geblieben ist, lehrte die Nachbarn aus Wolfsburg bereits das Fürchten, als der Zuschauermagnet noch zwei Ligen unter den Grün-Weißen gegen Aue und Verl kickte. Auch im neunten Jahr der Drittklassigkeit passierten in der zurückliegenden Saison im Schnitt 11.922 Fans die Stadiontore – das Bundesliga-Team aus der VW-Stadt lockte gerade einmal 800 Zuschauer mehr an. An solch kleine Triumphe klammert man sich derzeit in Braunschweig.

Trotz der gewaltigen Zuschauerzuspruchs wird es jedoch auch der neue Trainer Uwe Reinders schwer haben, ein Team zu formen, das bei der erforderlichen Aufholjagd bestehen kann. Befürchtungen, der aufgeblähte Kader könnte für das notorisch knappe Budget der Braunschweiger zu kostspielig sein, zerstreut Präsident Gerhard Glogowski nach wie vor rhetorisch gekonnt. Er verweist auf den Pool 100, einen Zusammenschluss mittelständischer Unternehmen, die jeweils mindestens 7.700 Euro per annum an die Eintracht überweisen: „Wir haben ein ausgewogenes Sponsorenumfeld, deshalb trifft uns auch die Kirch-Krise weniger hart als manchen Konkurrenten.“ Fakt ist jedoch, dass die Eintracht noch einige teure Spieler im Kader hat, die in dieser Saison zu keinem Einsatz mehr kommen dürften.

Wenn nicht baldigst die Wende eingeläutet wird, bleibt den Niedersachsen wohl nur der Blick zurück, mit dem man sich schon die letzten Jahrzehnte über Wasser gehalten hat. Die Braunschweiger Zeitung sang jedenfalls bereits in dieser Woche ein Requiem: „Fans glauben immer an das Gute in der Mannschaft. In Braunschweig ist es aber eben oft einfach des Guten zu viel.“